Nachtfahrt von Farö nach Ventspils, Lettland. Wir fahren nachmittags los, zur bisher längsten Strecke unserer Ostseereise. Die wasserdichte Notfalltasche steht endlich,wie es sich gehört, nach Liste mit dem Wichtigsten bepackt (Wasser, Taschenlame, Leuchtmunition, Pässe, usw. , bereit. Der deutsche und schwedische Wetterbericht bringen übereinstimmend: variabel Windstärke 3-4 Süd bis Süd-West, drehend 4-5 Bft., das kann passen. Zuerst motoren wir bei bedecktem Himmel durch den Faroesund zwischen Tonnen und an Leuchttürmen vorbei, dann geht’s durch die weite tiefe zentrale Ostsee, ganz easy eigentlich, keine Tonnen und keine Untiefen gib es mehr zu beachten und der nächste Wegpunkt ist erst wieder die Ansteuerungstonne Ventspils, also erst am nächsten Morgen. Ich stelle mir vor, mit achterlichem konstantem Wind, Stärke 4 und weichen Wellen bei Mond und Sternenhimmel durch die kurze nordische Nacht zu segeln, also höchstens 5 Stunden im Dunkeln. Der Skipper gibt die Wacheinteilung bekannt: im 2 Stunden Rhythmus wird geschlafen bzw. ausgeruht: 18.00 – 20.00 Uhr die Crew der Momo (ich, Brigitte), 20.00 – 22.00 Uhr der Skipper (Uwe), 22.00 bis 12.00 Uhr wieder ich, usw., d. h. die Wache ist bei uns immer alleine draussen und wechselt dann in den vorgewärmten Schlafsack.
Um 17.30 zieht Nebel auf, so dass wir unsere Positionslichter und das Radar anmachen müssen. Der Nebel wird immer dichter, bald sehen wir nichts mehr ausser unsrer vom Hecklicht beleuchteten Fahne und die Buglaterne. Momo im Blindflug, ein komisches Gefühl. Unser bester Freund in dieser Nebelnacht ist das Radargerät, das wir ständig im Blick haben müssen um Punkte (Schiffe) zu suchen, nach vorne oder zur Seite Ausschau zu halten kann man vergessen. Wir sind aber zum Glück immer allein im eingestellten Umkreis von 6 Seemeilen auf unserem Radar. Es bleibt beim Suchen, bis um 20.30 Uhr der erste Punkt dichter und dichter auf uns zukommt, auf den Funk vom Skipper reagiert er nicht (vielleicht ist es ein Fischer?), wir ändern vorsichtshalber unseren Kurs, bis er querab ist auf unserem Radarschirm.
Wir sind wie eine Insel im Nichts, hören nur das Brummen unseres Motors und sehen nur unsere Positionslichter. Nur unter Segeln, also lautlos, wäre es noch gespenstischer. Das Deck wird langsam nass von den kleinen Wassertropfen, die Kleidung feucht und klamm. Unendlich lang wird die Nacht, ich zähle die Meilen und Stunden und träume inzwischen von einer heisen Dusche.
Der versprochene Wind will sich nicht einstellen, wir fahren immer noch unter Maschine und setzen zusätzlich den Klüver zur Stabilität, damit das Schiff in der immer mehr zunehmenden Dünung, die genau quer zum Schiff läuft, ruhiger läuft. Trotzdem „geigen“ wir ständig 30° nach Backbord und 30° nach Steuerbord, das Vorsegel schlägt im Takt der Bewegung, wie auch die Töpfe und Bierbüchsen, es ist aber nicht mehr zu ändern, sobald man ein Schapp aufmacht, fliegt der ganze Inhalt heraus.
Die höchsten Wellen sind jetzt 3 Meter hoch, sie kommen aus dem Nichts und verschwinden im Nichts, nur dicht neben dem Schiff auf Höhe der Reeling sind sie zu sehen und zu hören. Es ist Mitternacht, wir haben die grösste Wassertiefe der Ostsee unter unserem Kiel, 295 Meter (ein beruhigendes Gefühl). Es gibt die letzte Suppe und ungefähr die Hälfte der Strecke liegt hinter uns.
Ich liege im Schlafsack im Salon, die Schiffsbewegungen drücken mich in das Polster und heben mich wieder hoch, das gleiche passiert mit meinem Magen, ich kann mich nicht aufrappeln zum „Wacheschieben“.
Der Skipper steht eisern hinter dem Steuer, die Backbordseite der dunklen Mütze ist ganz weiss vom Nebel. Uwe versucht die hohen Wellen günstig „auszureiten“und vergisst (oder will er nicht) seine 2 Stunden Ruhepause. Gegen 4 Uhr morgens bleiben wir beide wach mit jetzt 4 Augen im Cockpit. Ein kurzer Lichtblick um 5.00 Uhr morgens auf bessere Sicht ist von kurzer Dauer, der Nebel wird noch dichter. Die Planung war so getimet, dass wir bei Morgenlicht in den Hafen Ventsspils einlaufen können, Morgen ist, aber kein Licht. Wir fahren mit einer Geschwindigkeit von 5 Knoten und wissen, dass auf Pos.57°26'80 N und 21°24'65 E die Ansteuerungstonne sein muss, aber sie ist nicht zu sehen. Da, jetzt, 2 Schiffslängen neben uns steht sie die Tonne, ist sogar recht gross! Sie zu rammen wäre fatal. Die weiteren roten und grünen Tonnen, die die Einfahrt markieren, ertasten wir uns mithilfe des Radars. Die Punkte sagen uns es passt und - im allerletzten Moment sehen wir die „schwimmenden Hütchen“ auch in Wirklichkeit. Über Funk melden wir uns bei Ventspils traffic an, und auf ihre Frage ob wir wissen wo wir hin müssen, sagt Uwe locker yes. Null Sicht, keine Hafenmole, kein Leuchtturm, wir müssen aber da sein und - bingo, wie auf Knopfdruck ist die Einfahrt mit der Mole und den Leuchttürmen zu sehen. Momo fährt im Blindflug in ihren bisher grössten Hafen ein, es ist das Flussdelta der Venta. Geschafft, d. h. fast, auch im Hafen die Waschküche, wir tasten uns auch hier nur langsam vor bis zum Yachtclub Ventspils, ganz hinten in der Ecke. Wir legen am Montag dem 22. 5. um 9.55 Uhr nach unserer Armbanduhr (hier in Lettland ist es 1 Stunde später), nach langen 18 Stunden und 40 Minuten an.